Vermieter vor Gericht (2)

Kein Scherz, sondern beim Amtsgericht Stendal so geschehen.

Vermieter Plattenbaugesellschaft mbH klagt gegen seine Exmieterin auf Nebenkosten und Schadenersatz.

Schadenersatz verlangt Plattenbau dafür, daß der Fußboden aus DDR-Zeiten nun nach dem Auszug endlich erneuert werden muß. Auf Seite 3 heißt es: in der ganzen Wohnung außer Kinderzimmer. Auf Seite 4 heißt es: in der ganzen Wohnung. In der Rechnung heißt es: nur im Wohnzimmer. Der Schadenersatzbetrag (ca. 500 €) ist immer der gleiche. Das ficht das Amtsgericht nicht an. Schlüssigkeitsbedenken – sonst gern gehegt – gibt es hier nicht.

Schadenersatz verlangt Plattenbau auch für eine Steckdose aus DDR-Zeiten. Die überwiegenden Kosten in der Rechnung sind für „Fehlersuche“, ein Zeichen dafür, daß nicht die Steckdose, sondern die Elektroinstallation fehlerhaft gewesen sein könnte. Auch das fällt dem Amtsgericht nicht auf.

Für die Erneuerung der Brausegarnitur und des WC-Sitzes will Plattenbau 250 €. Von einer defekten Brausegarnitur steht im Abnahmeprotokoll nichts. Vom WC-Sitz heißt es, er sei verschmutzt und vergilbt (Für die Reinigung der Wohnung verlangt der Vermieter übrigens weitere 350 €). Die Rechnungen beziehen sich auf eine Mischbatterie, nicht auf eine Brausegarnitur. Sie übersteigen die Bagatellgrenze, die im Mietvertrag vereinbart ist, um mehr als das doppelte. Das macht aber nichts. Auch diesen Anspruch hält das Amtsgericht für schlüssig.

Insgesamt machen die Schadenersatzbeträge 1.528,55 € aus. Plattenbau macht daraus 1.581,85 €. Mag ein Rechenfehler sein. Der Amtsrichter kommt zum gleichen Ergebnis. Und erläßt ein Versäumnisurteil. Dessen Voraussetzung ja zumindest Schlüssigkeit der Klage ist. Wozu rechnerische Richtigkeit offenbar nicht gehört. Das hat man beim Amtsgericht Stendal auch schon anders erlebt, wo auf das penibelste Forderungen auf der Suche nach Schlüssigkeitsbedenken zerpflückt worden sind, als wären es Gänseblümchen und das Spiel hieße „Er liebt mich – er liebt mich nicht“. Vermieter müßte man sein.

Das ist wirklich so geschehen (3 C 870/14).

 

Beschuldigte und andere Verfahrensbeteiligte

Der Beschuldigte ist Verfahrensbeteiligter. Als solcher ist er Subjekt und nicht Objekt. Er sollte am Ermittlungsverfahren mitwirken dürfen.

Nicht für die Staatsanwaltschaft Stendal. Hier scheint seine Teilnahme am Verfahren nicht so erwünscht. Er wird – wenn überhaupt – als letzter informiert. Akteneinsicht erhält sein Verteidiger häufig erst vom Gericht. Pflichtverteidigerbestellungen erfolgen im Ermittlungsverfahren so gut wie nie – auch dann nicht, wenn absehbar ist, daß es sich um einen Fall notwendiger Verteidigung handeln wird. Geständnisse werden zwar entgegengenommen, dann aber u.a. nach frühen und späten Geständnissen und nach dem Grad der gezeigten Reue (kommt in den Plädoyers tatsächlich immer wieder vor) gewichtet. Wertlos sollen angeblich auch Geständnisse von Taten sein, die man „sowieso bewiesen“ hätte.

Hervorzuheben ist aber, mit welcher Selbstverständlichkeit der Beschuldigte vom Ermittlungsverfahren ausgeschlossen wird. Das führt zunächst einmal dazu, daß ihm jede Verteidigungsmöglichkeit in diesem Verfahrensstadium genommen wird. Und die Staatsanwaltschaft sich nicht mit seinem eventuellen Bestreiten herumärgern muß. Für die Entgegennahme seines Geständnisses ist zweifellos auch später noch Zeit.

Historischer Rückblick: die Justiz des friderizianischen Preußen hielt es für völlig überflüssig, den Beschuldigten anzuhören, bevor das Verfahren gegen ihn abgeschlossen war. Akteneinsicht erhielten weder er noch sein Verteidiger. Dafür bezog die Justiz verfahrensfremde aber interessierte Dritte, Vorgesetzte, Nachbarn, Arbeitgeber, Dienstherrn, andere Behörden in das Verfahren ein und ließ sie an den Erkenntnissen des Ermittlungsverfahrens teilhaben. Schließlich kannten alle, die sich dafür interessierten, – bis auf den Beschuldigten selbst, den man bewußt im Unklaren ließ – die Beschuldigungen hinreichend genau, um, zu wissen, was von ihm – unabhängig vom Verfahrensausgang – zu halten war.

Das ist 200 Jahre her. Nicht bei der Staatsanwaltschaft Stendal.

Aktuelles Beispiel: nach Eingang einer Anzeige und bevor der Beschuldigte überhaupt informiert wird, daß ein Verfahren gegen ihn geführt wird, bevor er Gelegenheit hat, sich dazu zu äußern, bevor er auch nur erklären kann, daß der Vorwurf nicht zutrifft, gibt die Staatsanwaltschaft schon alle wesentlichen Aktenbestandteile an den Arbeitgeber des Beschuldigten weiter. Begründung: „… weil der etwas zu veranlassen hat“.

Auf die Frage, ob das mit den Verfahrensrechten der Beteiligten zu vereinbaren ist: „Ich diskutiere das nicht“.

Alter Fritz.

 

Geheimverfahren

Die Staatsanwaltschaft Stendal scheint ihre Ermittlungsverfahren bei Betäubungsmitteldelikten ziemlich konsequent ohne den Betroffenen zu betreiben. Während bei den Betroffenen schon fleißig Telefone abgehört, Kontodaten von Banken angefordert, Wohnungen durchsucht und DNA-Proben zwangsweise entnommen werden, wird gleichzeitig verfügt, daß es Akteneinsicht erst nach Abschluß der Ermittlungen gibt. Häufig nicht einmal das: Anklageerhebung ohne je Akteneinsicht gewährt zu haben, ist kein Versehen, ja nicht einmal eine Seltenheit.

Das ist keineswegs überall so. Die frühzeitige Gewährung von Akteneinsicht kann gute Gründe haben. Die Erklärung des Betroffenen kann Zeit und Kosten sparen, wenn klar ist, was er bestreitet und was nicht. Wie aber soll sich der Betroffene sachgerecht erklären können, solange er nicht weiß, worum es eigentlich geht? Dazu würde kein Verteidiger seinem Mandanten jemals raten.

Hingegen wird durch die Versagung jeglicher Mitwirkung des Betroffenen an dem gegen ihn gerichteten Verfahren auch der letzte Rest von Verfahrensfairness beseitigt.

Rechtsstaatlichkeit bedeutet zunächst einmal nur, daß nach Recht und Gesetz verfahren wird (viele Juristen halten ja das eine für das andere). Nun sind die maßgeblichen Verfahrensvorschriften nicht gerade Musterbeispiele für den Schutz der (Grund-)Rechte des Betroffenen. Vorherige Anhörungen entfallen sowieso schon immer dann, wenn der Zweck der Maßnahme gefährdet ist. Das bedeutet in der Praxis letztlich, daß der Betroffene von diesen Maßnahmen nur noch dann vorher informiert wird, wenn sie sich ohnehin nicht geheimhalten lassen, oder wenn seine Mitwirkung erforderlich ist. Das ist jammervoll genug. Wenn aber in den Fällen, in denen der Betroffene vorher angehört wird, ihm auch noch jede Aktenkenntnis verweigert wird, er also bewußt und absichtlich im Unklaren gelassen wird, worum es geht, laufen seine Beteiligungsrechte notwendigerweise leer.

Die Vorstellung, daß die Staatsanwaltschaft sich dieser Zusammenhänge etwa nicht bewußt sein soll, erscheint zwar fernliegend, aber nicht unmöglich. Vielleicht macht man sich dort wirklich keinerlei Gedanken. Etwa darüber, was dieses merkwürdige Konstrukt namens „rechtliches Gehör“ bedeuten soll.

 

Wer oder was ist die Zentrale Abschiebestelle?

In Ausländersachen findet sich nicht selten der Verweis auf die „Zentrale Abschiebestelle des Landes Sachsen-Anhalt“ in Halberstadt.

Diese Stelle nimmt es den Ausländerbehörden der Kreise und Städte die Organisation der Abschiebung im Einzelfall ab. Hat der Ausländer keinen Paß, besorgt die zentrale Abschiebestelle einen Ausweis, der die (einmalige) Einreise in das Zielland ermöglicht. Sie bucht die Reise. Sie organisiert die Abholung der Betroffenen durch die Polizei am Abend vorher oder früh am Morgen, sorgt dafür, daß sie bis zum Abflug (oder sonstigen Beginn der Reise) eingesperrt werden, und organisiert, wo sie das für erforderlich hält, die Flugbegleitung.

Diese Stelle ist wichtig. Jedenfalls solange, wie das Land mit Ausländern verfährt, wie das gegenwärtig geschieht. Es ist – kurz gesagt – den Behörden nahezu völlig gleichgültig, wer da kommt und welche Voraussetzungen er mitbringt, solange nur die Abschiebungszahlen in etwa mit den Zuwanderungszahlen Schritt halten und die Zahl der in Deutschland – bzw. in Sachsen-Anhalt – aufhältigen Ausländer in etwa gleich gehalten werden kann.

Nebenbemerkung: vor diesem Hintergrund wird klar, welch entscheidender Paradigmenwechsel mit einem Einwanderungsgesetz verbunden sein könnte, und warum der Wunsch, es möge alles so bleiben wie es ist, zu erbitterter Bekämpfung dieses Gesetzesvorhabens führen muß. Wie einfach ist doch die Steuerung der Ausländerzahlen, mit der Gleichung, daß genauso viele gehen (müssen) wie kommen.

Zurück zur zentralen Abschiebestelle.

Diese Stelle scheint es gar nicht zu geben.

Auf der website des Landkreises Harz sucht man sie vergeblich – kein Stichwort dazu.

Im Organigramm des Landkreises ist sie nicht enthalten.

Die Sachbearbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit Ingelore Kamann erklärt am Telefon, eine solche Stelle gebe es beim Landkreis nicht!

Sind das nun gute oder schlechte Zeichen? Schämt man sich dieser Dienststelle? Man wird doch wohl nicht deren Existenz und Tätigkeit verheimlichen wollen.

Schließlich erklärt die Sekretärin des Landrates, daß es die Stelle gibt, braucht aber eine Weile, um die Telefonnummer zu finden.

Die Zentrale Abschiebestelle gibt es! Dort beim Landkreis Harz, Friedrich-Ebert-Straße 42 in 38820 Halberstadt erreicht man Herrn Kaiser unter der Telefonnummer 03941-5970-4663. Auf Anfrage erfährt man von ihm das Aktenzeichen eines bestimmten Abschiebefalles, wenn man ihm Name und Geburtsdatum des Betroffenen nennt. Auf die Frage, ob man bei ihm Akteneinsicht in dieser Sache beantragen kann, sagt Herr Kaiser (Betonung im Original): „Beantragen können Sie die Akteneinsicht ja.“

Warum nur vermitteln Kontakte mit den Ausländerbehörden dieser Bundesrepublik so häufig den Eindruck, nicht nur der Betroffene und sein Anwalt sähen den Obrigkeitsstaat durch die recht dünne Schicht von Verfahrensrechten durchschimmern, sondern auch den Behördenmitarbeitern sei die Vorstellung von der „Fremdenpolizei“ (wie die Ausländerbehörde in Österreich und der Schweiz heißt), die sich mit dem andersartigen und unvertrauten „Fremden“ und dabei vor allem mit dessen Abwehr beschäftigt, nicht fern?

 

Kein effektiver Rechtsschutz ohne Verfahrensrechte

Während viel darüber nachgedacht wird, welche Rechte dem Bürger (dem Arbeitnehmer, der Frau, dem Kind usw. …) gegenüber den Institutionen (dem Staat, den Behörden, den Banken, den Unternehmen usw. …) zustehen sollen, wird häufig außer Acht gelassen, daß alle Rechte – selbst gesetzlich verbürgte – nicht viel wert sind, wenn das Verfahren so gestaltet wird, daß der Betroffene sie gar nicht effektiv wahrnehmen kann.

Beispiele gibt es – von den Beteiligungsrechten des Geschädigten am Strafverfahren, die buchstäblich leerlaufen, wenn Staatsanwaltschaft und Gericht das für richtig halten, über die Rechte des ALG II-Beziehers, jeden einzelnen der Dutzende von Änderungs- und Aufhebungsbescheide überprüfen zu lassen, bis hin zum Recht des sprachunkundigen Ausländers, Rechtsbehelfe gegen Bescheide der Ausländerbehörden einzulegen, die nahezu vollständig aus Textbausteinen bestehen, unter deren sinnloser Mehrheit man den einen, der tatsächlich entscheidungsrelevant ist, erst einmal heraussuchen müßte, wenn man denn wüßte, worauf es ankäme, und zwar innerhalb der absichtsvoll besonders kurz gestalteten Rechtsmittelfrist von einer Woche, innerhalb der man kaum einen Termin beim Anwalt bekommen kann… – zuhauf.

Hier ein besonders abseitiges Exemplar, bei dem das Verständnis der Karosseriebauer-Innung Sachsen-Anhalt Süd und vor allem der Geschäftsführerin Carmen Bau von den Verfahrensrechten des Betroffenen besondere Aufmerksamkeit verdient. Der Fall:

Ein Karosseriebauer-Lehrling hatte den Eindruck, in seiner Gesellenprüfung von seinem Klassenlehrer, der aparterweise auch der Vorsitzende der Prüfungskommission war, angeschrien und ausgesprochen unwürdig behandelt zu werden, wobei nach Auffassung des Lehrlings überwiegend über nicht prüfungrelevante Fragen diskutiert wurde.

Der Klassenlehrer und Vorsitzende der Prüfungskommission hatte den Eindruck, daß der Prüfling mangelhafte und ungenügende Leistungen darbot, die ein Bestehen der Prüfung ausschlossen.

Gegen dieses Prüfungsergebnis legte der Prüfling das in der Prüfungsordnung vorgesehene Rechtsmittel ein und ließ anwaltliche Akteneinsicht beantragen.

Carmen Bau teilte darauf mit, die Akteneinsicht könne am Montag dem 16.03.2015 um 7 Uhr an der Schwimmhalle 3 in Halle (Saale) in Anwesenheit der Prüfungskommission genommen werden.

Zur Akteneinsicht wären es 150 km oder zwei Stunden Fahrt, die zur Nachtzeit zurückzulegen wären, was nach allgemeiner obergerichtlicher Rechtsprechung unzumutbar ist.

Bemerkenswert ist hier das Rechtsverständnis der Innung und ihrer Geschäftsführerin von den Rechtsmitteln gegen Prüfungsentscheidungen. Deutlicher kann man ja nicht mehr machen, daß einem de Verfahrensrechte des Betroffenen schnurz und sein Schutz gegen möglicherweise willkürliche Wertungen ganz besonders piepe sind.

Das obrigkeitliche Denken im Preußenstaat hielt nicht viel von Rechten der Untertanen, schützte aber dessen Verfahrensrechte durch Korrektheit. Der NS-Staat ersetzte geordnete Verfahren durch blanke Willkür. Der DDR-Staat zog es vor, die rechtliche Überprüfung seiner Verfahrensweise weitestgehend auszuschließen, so daß die Rechte des Betroffenen letztlich nur formal gewährleistet waren. Soviel zum großen Rahmen.

Wo – in ihrer kleinteiligen Welt – ordnet sich da wohl die Innung und ihre Geschäftsführerin Carmen Bau ein?

 

Wanderer, kommst Du nach Dessau…

Die Stadt Dessau, die sich nicht nur dadurch auszeichnet, daß sie zunächst einem ambitionierten und einigermaßen erfolgreichen Theatherintendanten vertreibt – mit tatkräftiger Unterstützung einer Landesregierung, die von Musik, Theater und Tanz etwa so viel zu verstehen scheint, wie eine aus Islamisten und Pegida-Gründern zusammengesetzte Laienspielgruppe (schwankend zwischen „braucht man nicht – weg damit“ und „ist doch egal, was gespielt wird“), beschäftigt sich gelegentlich auch mit Rechtsfragen. z.B. mit dieser:

Seit 2009 stand in Dessau in einer Garage ein alter rostiger Opel herum, zu dem ein Urteil verfügte, daß der Besitzer ihn Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises an den früheren Besitzer zurückgeben durfte. Nun hätte der Besitzer den Opel durch den Gerichtsvollzieher dem früheren Besitzer anbieten müssen. Wenn der ihn nicht zurücknahm, konnte er ihn entsorgen und nur noch seinen Rückzahlungsanspruch weiter verfolgen. Das tat der Besitzer aber nicht, vielleicht weil er die Kosten des Angebots scheute. Der frühere Besitzer war etwa 100 km entfernt.

Stattdessen ließ er den Opel einige Jahre stehen und schob ihn dann auf die Straße, wo er dem Ordnungsamt auffiel. Die setzten sich erst mit dem Besitzer – der auch letzter Halter war – in Verbindung. Der verwies auf den früheren Besitzer. Und der bekam nun – in handfester Auslegung der Rechtslage durch das Ordnungsamt, das zwischen einem Bürger der Stadt Dessau, vertreten durch Anwälte aus Dessau und einem fremden Irgendjemand wohl zu unterscheiden weiß – eine Ordnungsverfügung, er solle das Fahrzeug entfernen oder die Kosten tragen. Begründung: er kenne ja wohl den Standort des Fahrzeugs.

Stimmt fast: der jetzige Besitzer hat ihm einen Garagenbesitzer genannt, bei dem er sich nach dem Standort erkundigen könnte. Zugriff auf das Fahrzeug würde allerdings noch immer die Rückzahlung des Kaufpreises voraussetzen. Dazu ist der frühere Besitzer nicht in der Lage.

Das macht aber nichts: das Ordnungsamt Dessau, so schreibt es, erwartet die „Klärung der privatrechtlichen Interessen zwischen Ihrer Mandantin und der Gegenseite“. Dann will es weitersehen. Müffelt das ein wenig nach früher? – Nein, nein, bestimmt irre ich mich. Eine Begründung für die Störerhaftung gerade des früheren Besitzers hat das Ordnungsamt allerdings bislang nicht gefunden. Nur mitgeteilt, daß es die Sinnlosigkeit seiner Maßnahme partout nicht erkennen könne, das hat es.

Womit der Kreis sich schließt. Genau denselben Eindruck hatte der Intendant des Dessauer Theaters auch schon. Scheint eine Art corporate identity zu sein.

 

Zum Jahreswechsel ...

… mal etwas ganz anderes:

Wenn man – wie ich es getan habe – im Winter auf Rügen nicht nur am Strand spazieren geht, sondern sich für die örtliche Orgellandschaft interessiert, dann erfährt man folgendes (zu einem etwas abseitiges Thema – aber wie gesagt: zum Jahreswechsel mal was ganz anderes): Sellin Kirche 1

Die seit Beginn des 18. Jahrhunderts im damals deutschen Stettin ansässige Orgelbauerfamilie Grüneberg entdeckte im 19. Jahrhundert die Insel Rügen und begann, diese mit Orgeln förmlich zu überschwemmen. Bis heute gibt es Dutzende von meist kleinen, teilweise aber auch recht großen Grüneberg-Orgeln auf Rügen. Es müssen einmal weit mehr als hundert Orgeln gewesen sein, die die verschiedenen Orgelbaumeister der Familie Grüneberg für die Insel gebaut und in deren Kirchen installiert haben. Sellin Kirche 2

Das hatte teils merkwürdige Konsequenzen. Als die sogenannte „Orgelbewegung“ in Deutschland den Klang der Orgel vornehmlich in Norddeutschland zu reformierte – um nicht zu sagen: revolutionierte -, bis er das war, was wir heute als den typischen Orgelklang kennen, waren alle diese Orgeln noch recht jung – will sagen: noch keine 50 Jahre alt -, so daß eine Anpassung oder ein Neubau in den meisten Fällen den sparsamen Kirchenvorständen verfrüht erschien. An dieser Meinung hat sich in den meisten Fällen bis heute nichts geändert. Sellin Orgel 1

Im Mönchgut auf Rügen stehen einige Grüneberg-Orgeln, von denen ich dank der Organistin Barbara Walter zwei spielen konnte. Dieses Vergnügen ist im Winter einem Spaziergang am Strand nicht unähnlich.

Eine der beiden Orgeln befindet sich in der Gnadenkirche in Sellin.

 

 

Führerscheinentzug – was nun?

Das weiß jeder. Wenn man getrunken hat (Alkohol natürlich), dann muß man das Auto stehen oder jemand anders fahren lassen. Aber was es auch war – Kontrollverlust, Restalkohol vom Vortag oder mangelnde Vorsorge, nun ist es passiert. Alkoholfahrt, vielleicht ein Unfall, vielleicht sogar mit anschließender Fahrerflucht. Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis.

Fest steht: niemand wünscht sich eine Begegnung mit einem alkoholisierten Verkehrsteilnehmer. Folglich kann auch niemand wünschen, daß andere alkoholisiert am Straßenverkehr teilnehmen. Folglich kann es auch niemand rechtfertigen wollen, wenn er selbst am Straßenverkehr alkoholisiert teilgenommen hat.

Dennoch kommt es immer wieder dazu, daß in der Folge die berufliche Existenz des Betroffenen nicht nur gefährdet, sondern absehbar vernichtet wird. Daß der Betroffene das bei seiner Entscheidung, unter Alkohol zu fahren, bedacht und in Kauf genommen hat, kann man ausschließen (hier geht es nicht um Fälle von Alkoholabhängigkeit, bei denen von einer „Entscheidung“ ohnehin erst einmal nicht die Rede sein kann, bevor die Krankheit nicht behandelt worden ist).

Nun gibt es Ansätze, diese Existenzgefährdung zu vermeiden. Der Gesetzgeber beabsichtigt ja nicht, dem Betroffenen als Strafe die berufliche Existenz zu nehmen. Wo das die Folge ist, soll sie möglichst vermieden werden, schon um Ungleichbehandlung zu vermeiden. So könnte die Dauer der Fahrerlaubnissperre auf 6 Monate (das Minimum) beschränkt werden, wenn das dem Betroffenen hilft, seine berufliche Existenz zu retten. Und es könnten bestimmte Fahrerlaubnisklassen ausgenommen werden (LKW bei einem LKW-Fahrer – Landgericht Hamburg 603 Qs 742/95 – oder Traktoren bei einem Agrotechniker-Auszubildenden – Amtsgericht Alsfeld 4 Ds 601 Js 19356/09 -).

Was sagt die Staatsanwaltschaft typischerweise zu solchen Erwägungen? Statt eines Kommentars ein Zitat: auf den Einwand der unmittelbaren Existenzgefährdung kommt die Erwiderung: „Wo soll denn da die Ausnahme liegen? Es verliert doch fast jeder mit dem Führerschein die Anstellung.“ So oder sinngemäß lautet die Erwiderung meist auf die Anregung, sich Gedanken über die Folgen der Strafe für den Betroffenen zu machen.

Das bedeutet zweierlei. Erstens sind der Staatsanwaltschaft die Folgen ihrer Maßnahmen völlig egal. Die hat sich der Betroffene ja selbst zuzuschreiben. Daß seine Entscheidung, unter Alkohol zu fahren, in Sekunden, unüberlegt und möglicherweise im Zustand verminderter Einsichtsfähigkeit getroffen wurde, während die Entscheidung der Staatsanwaltschaft in ruhiger Überlegung unter Abwägung aller für und gegen den Beschuldigten sprechenden Umstände getroffen werden sollte, scheint die Qualität der Entscheidung nicht wesentlich zu verbessern. Sie wird vom Entscheider bei der Staatsanwaltschaft als quasi unabwendbare Folge der ursprünglichen Entscheidung des Betroffenen, sich alkoholisiert ans Steuer zu setzen, wahrgenommen. Von den – verfassungsrechtlich gebotenen – Verhältnismäßigkeitserwägungen ist diese Entscheidungspraxis denkbar weit entfernt.

Zweitens wird das Regel-Ausnahme-Verhältnis so definiert, daß unangenehme Folgen der verhängten Strafe, auch wenn diese Folgen vom Gesetzgeber eindeutig nicht beabsichtigt sind, hinzunehmen sind, wenn denn möglichst viele betroffen sind. Hier werden Verhältnismäßigkeitsüberlegungen endgültig ad acta gelegt. Stattdessen gilt das Gesetz der großen Zahl.

Sie glauben das nicht? Fragen Sie einen Staatsanwalt. Der wird Ihnen erklären, wie abwegig es ist, solche Überlegungen anzustellen. Wenn es ihn selber trifft, wird ihm plötzlich klar, daß nicht alle unterschiedslos abgeurteilt werden können, sondern daß es begründete Ausnahmen geben muß.

Bei einer derart konsequenten Verweigerung gegenüber jeglicher Verhältnismäßigkeit – unter der mit gläubigem Augenaufschlag vorangetragenen Monstranz des absolut überwältigenden öffentlichen Interesses an der Gewährleistung der Verkehrssicherheit – macht es aus Verteidigersicht nicht einmal Sinn, überhaupt anzufragen, weil die Antworten üblicherweise dieselben sind.

Bleibt die Frage an das Amtsgericht – wird es solche Überlegungen anstellen? Jedenfalls wird es diese Überlegungen erst Monate später anstellen, wenn die Sache endlich terminiert ist. Und es wird noch immer an das Minimum von 6 Monaten Fahrerlaubnissperre gebunden sein.

Was aber deutlich geworden sein sollte: wenn nicht für den Betroffenen die Verhältnismäßigkeit der beabsichtigten Strafmaßnahme angemahnt wird – und das kann er in aller Regel nicht selbst tun – da bleibt sie auf der Strecke. Von allein werden die persönlichen und individuell begründeten Probleme, die für den Betroffenen – keineswegs immer! – mit dem Entzug der Fahrerlaubnis verbunden sind, nicht berücksichtigt.

Informationsfreiheitsgesetz

Auch (oder gerade?) längeres Nachdenken über den Titel dieses Gesetzes wird die Erkenntnis, was darin steht und was damit gemeint ist, nicht befördern. Das Verhältnis von Information und Freiheit rechtsphilosphisch formulieren zu wollen, halte ich für schwierig. Information ist sicher keine Voraussetzung für Freiheit und wieso Freiheit eine Voraussetzung für Information ist, müßte man mir erst einmal erklären. Möglicherweise ist Information (oder der Zugang zu derselben) ein Teil der (Individual-)Freiheit, die der Staat zu schützen und zu fördern hat. Ursprünglich fand man, daß physische Freiheit und dann wirtschaftliche Freiheit und dann Gedankenfreiheit und dann Freiheit des Ausdrucks von Meinungen und Anschauungen wichtiger seien. Ob der Gesetzgeber jetzt meint, das alles sei bereits in hinreichendem Maße gesichert?

Jedenfalls war 2005 im Bund und 2008 in Sachsen-Anhalt der Zeitpunkt gekommen, dem Bürger die Informationsfreiheit in der Weise zu garantieren, daß jeder Bürger in jedem behördlichen Vorgang Einsicht nehmen kann. Es ist vielleicht bemerkenswert, daß es sich bis heute nicht herumgesprochen hat, daß es diesen Anspruch gibt und schon gar nicht, wie weit er tatsächlich geht. Begrenzt ist er letztlich nur dadurch, daß Rechte Dritte an der Vertraulichkeit bestimmter in der Akte enthaltener Informationen, seien sie nun wirtschaftlich oder durch den Schutz der Privatsphäre begründet, dazu führen kann (und häufig dazu führt), daß Teile der Akte eben nicht zugänglich sind. So kann es kommen, daß der zugängliche Rest der Akte einen Torso darstellt, der keine sinnvolle Information mehr gewährt. So kann es auch kommen, daß das Aufteilen der Akte in zugängliche und unzugängliche Teile so lange dauert, daß irgendwann das Interesse an der Sache schwindet. Und es kann eine Anstrengung ganz eigener Art sein, (beispielsweise) kommunale Bedienstete davon zu überzeugen, daß es so etwas wie das Informationszugangsgesetz in Sachsen-Anhalt gibt.

Diese Informationsmöglichkeit ist bestimmt ein wertvolles Instrument und erweitert alle vorher bestehenden Akteneinsichtsrechte erheblich. Aber.

Der Schutz physische Freiheit ist noch immer nicht so weit gediehen, daß Beschwerden gegen rechtswidrige Akte im Strafvollzug gemäß § 109 StVollzG auch konkrete Auswirkungen im Vollzugsalltag hätten. Sie bleiben in aller Regel auch im Erfolgsfall wirkungslos.

Der Schutz wirtschaftlicher Freiheit ist noch nicht so weit gediehen, daß Arbeitnehmer als Zeugen in einem Verfahren gegen ihren Arbeitgeber sich auf die Wahrheit besinnen können. Da wird in aller Regel im Interesse des eigenen Arbeitsplatzes ausgesagt.

Der Schutz der Gedankenfreiheit ist unter den tatsächlichen und vermuteten Bedrohungen durch linken, rechten oder religiös motivierten Terror derart verblaßt, daß man meinen könnte, er sei zusammen mit allem anderen liberalen Gedankengut bereits endgültig verblichen.

Von der Freiheit der geäußerten Meinung ganz zu schweigen (hier gedenke man in einer Schweigeminute der Zeit, in der irgendwelchen abseitigen Ansichten anderer noch ausdrücklich entgegengetreten werden mußte, weil der Mangel an political correctness noch nicht als Totschlag-Argument zur Hand war).

Die (ungewollt) lückenhaften Freiheiten sind also um eine weitere lückenhafte Freiheit ergänzt worden. Naja.

Richtigstellung

Ich habe auf dieser Seite einen Beitrag veröffentlicht, in dem die Verfahrensweise in einem Mietrechtsstreit vor dem Amtsgericht Stendal entschieden kritisiert wurde.

Ich wollte darin den in den Verhandlungsterminen gewonnenen Eindruck wiedergeben, daß sich die SWG offenbar darauf verläßt (und verlassen kann), daß der Mieter mit seinen Einwänden gegen Betriebskostenabrechnungen schon nicht durchdringen werde, wie begründet diese Einwände auch sein mögen. Durch meine – möglicherweise polemisch überspitzte – Ausdrucksweise konnte man möglicherweise den Eindruck gewinnen, daß die richterliche Unabhängigkeit in Frage gestellt würde – vielleicht sogar bis zu einer Art Kumpanei zwischen Vermieter und Richter. Dieser Eindruck war nicht – auch nicht zwischen den Zeilen – beabsichtigt.

Darauf bin ich jetzt aufmerksam gemacht worden. Da der Sinn des Beitrags ein anderer war, aber offenbar wie beschrieben verstanden worden ist, bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß das Ziel dieses Beitrags, nämlich die Kompetenz einzufordern, die das Gericht gerade bei nicht rechtsmittelfähigen Entscheidung für sich in Anspruch nimmt (und in Anspruch nehmen muß), nicht erreicht worden ist, sondern eher das Gegenteil. Ich habe deshalb den betreffenden Betrag von dieser Seite entfernt.