Das weiß jeder. Wenn man getrunken hat (Alkohol natürlich), dann muß man das Auto stehen oder jemand anders fahren lassen. Aber was es auch war – Kontrollverlust, Restalkohol vom Vortag oder mangelnde Vorsorge, nun ist es passiert. Alkoholfahrt, vielleicht ein Unfall, vielleicht sogar mit anschließender Fahrerflucht. Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis.
Fest steht: niemand wünscht sich eine Begegnung mit einem alkoholisierten Verkehrsteilnehmer. Folglich kann auch niemand wünschen, daß andere alkoholisiert am Straßenverkehr teilnehmen. Folglich kann es auch niemand rechtfertigen wollen, wenn er selbst am Straßenverkehr alkoholisiert teilgenommen hat.
Dennoch kommt es immer wieder dazu, daß in der Folge die berufliche Existenz des Betroffenen nicht nur gefährdet, sondern absehbar vernichtet wird. Daß der Betroffene das bei seiner Entscheidung, unter Alkohol zu fahren, bedacht und in Kauf genommen hat, kann man ausschließen (hier geht es nicht um Fälle von Alkoholabhängigkeit, bei denen von einer „Entscheidung“ ohnehin erst einmal nicht die Rede sein kann, bevor die Krankheit nicht behandelt worden ist).
Nun gibt es Ansätze, diese Existenzgefährdung zu vermeiden. Der Gesetzgeber beabsichtigt ja nicht, dem Betroffenen als Strafe die berufliche Existenz zu nehmen. Wo das die Folge ist, soll sie möglichst vermieden werden, schon um Ungleichbehandlung zu vermeiden. So könnte die Dauer der Fahrerlaubnissperre auf 6 Monate (das Minimum) beschränkt werden, wenn das dem Betroffenen hilft, seine berufliche Existenz zu retten. Und es könnten bestimmte Fahrerlaubnisklassen ausgenommen werden (LKW bei einem LKW-Fahrer – Landgericht Hamburg 603 Qs 742/95 – oder Traktoren bei einem Agrotechniker-Auszubildenden – Amtsgericht Alsfeld 4 Ds 601 Js 19356/09 -).
Was sagt die Staatsanwaltschaft typischerweise zu solchen Erwägungen? Statt eines Kommentars ein Zitat: auf den Einwand der unmittelbaren Existenzgefährdung kommt die Erwiderung: „Wo soll denn da die Ausnahme liegen? Es verliert doch fast jeder mit dem Führerschein die Anstellung.“ So oder sinngemäß lautet die Erwiderung meist auf die Anregung, sich Gedanken über die Folgen der Strafe für den Betroffenen zu machen.
Das bedeutet zweierlei. Erstens sind der Staatsanwaltschaft die Folgen ihrer Maßnahmen völlig egal. Die hat sich der Betroffene ja selbst zuzuschreiben. Daß seine Entscheidung, unter Alkohol zu fahren, in Sekunden, unüberlegt und möglicherweise im Zustand verminderter Einsichtsfähigkeit getroffen wurde, während die Entscheidung der Staatsanwaltschaft in ruhiger Überlegung unter Abwägung aller für und gegen den Beschuldigten sprechenden Umstände getroffen werden sollte, scheint die Qualität der Entscheidung nicht wesentlich zu verbessern. Sie wird vom Entscheider bei der Staatsanwaltschaft als quasi unabwendbare Folge der ursprünglichen Entscheidung des Betroffenen, sich alkoholisiert ans Steuer zu setzen, wahrgenommen. Von den – verfassungsrechtlich gebotenen – Verhältnismäßigkeitserwägungen ist diese Entscheidungspraxis denkbar weit entfernt.
Zweitens wird das Regel-Ausnahme-Verhältnis so definiert, daß unangenehme Folgen der verhängten Strafe, auch wenn diese Folgen vom Gesetzgeber eindeutig nicht beabsichtigt sind, hinzunehmen sind, wenn denn möglichst viele betroffen sind. Hier werden Verhältnismäßigkeitsüberlegungen endgültig ad acta gelegt. Stattdessen gilt das Gesetz der großen Zahl.
Sie glauben das nicht? Fragen Sie einen Staatsanwalt. Der wird Ihnen erklären, wie abwegig es ist, solche Überlegungen anzustellen. Wenn es ihn selber trifft, wird ihm plötzlich klar, daß nicht alle unterschiedslos abgeurteilt werden können, sondern daß es begründete Ausnahmen geben muß.
Bei einer derart konsequenten Verweigerung gegenüber jeglicher Verhältnismäßigkeit – unter der mit gläubigem Augenaufschlag vorangetragenen Monstranz des absolut überwältigenden öffentlichen Interesses an der Gewährleistung der Verkehrssicherheit – macht es aus Verteidigersicht nicht einmal Sinn, überhaupt anzufragen, weil die Antworten üblicherweise dieselben sind.
Bleibt die Frage an das Amtsgericht – wird es solche Überlegungen anstellen? Jedenfalls wird es diese Überlegungen erst Monate später anstellen, wenn die Sache endlich terminiert ist. Und es wird noch immer an das Minimum von 6 Monaten Fahrerlaubnissperre gebunden sein.
Was aber deutlich geworden sein sollte: wenn nicht für den Betroffenen die Verhältnismäßigkeit der beabsichtigten Strafmaßnahme angemahnt wird – und das kann er in aller Regel nicht selbst tun – da bleibt sie auf der Strecke. Von allein werden die persönlichen und individuell begründeten Probleme, die für den Betroffenen – keineswegs immer! – mit dem Entzug der Fahrerlaubnis verbunden sind, nicht berücksichtigt.