Der Anwalt im tiefen Digital

Verbessert das anekdotenhafte Erzählen von den Schwachsinnigkeiten der Digitalisierungsversuche der Justiz (oder irgendeiner anderen Bürokraten-Vereinigung) irgendetwas? Hilft es den Effizienzathleten auf ihren ergonomischen Bürodrehstühlen, irgendeine der vielen Unzulänglichkeiten ihrer „Apps“ und „Softwaremodule“ genannten Hilfskrücken abzustellen? Hält es sie davon ab, das scheinbar in Vergessenheit geratene (oder erinnert sich noch jemand?) Murphys Law, wonach 1. alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird und man 2. eine Sache so lange verbessern kann, bis sie endgültig zusammenbricht immer und immer wieder empirisch zu bestätigen? Oder – optimistisch ausgedrückt – geht’s auch mal vorwärts? Oder immer nur seitwärts zurück? Oder – pessimistisch ausgedrückt – hilft die Erkenntnis, daß Justiz und Datenverarbeitung zwei höchst gefährliche Stoffe sind, die – einmal zusammengeschüttet – ein extrem ätzendes Gebräu ergeben, von dem alle, die mit ihren weißen Kochmützen davorstehen, behaupten, das sei nun – vorbehaltlich des nächsten Updates – das non plus ultra, wenigstens zur Einsicht, daß diese Köche den Brei todsicher verderben werden? Was noch lange nicht zu der Erkenntnis verhilft, warum das so sein muß.

Einmal schon hat es den Betreiber des besonderen elektronischen Anwaltspostfach hinweggefegt und das zu Recht. Man liest den Namen ATOS praktisch nur noch in denjenigen Wirtschaftsnachrichten, in denen von bevorstehenden Pleiten gemunkelt wird. Der Name des trunksüchtigen, spielwütigen Musketierskumpan des Romanhelden d’Artagnan war zum Glück Athos. Daran kann man die heutige Firma von dem edlen Raufbold unterscheiden.

Die sind also weg. Konnte es schlimmer kommen? Nein, das war praktisch ausgeschlossen. Aber frecher konnte es werden. Und das wurde es. Hatte der vorige Betreiber noch offen seine Ahnungslosigkeit bekannt, wenn der Nutzer (eigentlich ein unzutreffender Begriff, denn die Nutzung funktionierte ja gerade nicht) einen Fehler gemeldet hatte, und zwar stets, so daß man die Fehlermeldungen irgendwann sein ließ, weil einen die Tröpfe dauerten, so geht das jetzt ganz anders.

Mag ein Fehler auch noch so oft auftreten und noch so offensichtlich auf einen bug in der Software zurückzuführen sein, lautet die Antwort auf eine Fehlermeldung jetzt stets:

  1. Der Fehler lasse sich nicht reproduzieren. Wozu schickt man eigentlich das Protokoll mit? Wozu wird das überhaupt aufgezeichnet? Was ist das für eine Fehlersuche, die es dem Anwender überlassen will, einen Fehler so lange zu wiederholen, bis ein Muster erkennbar wird?
  2. Der Fehler, Herr Anwender oder Frau Anwenderin, tritt nur bei Ihnen auf und ist ansonsten völlig unbekannt. Ich habe ja den Verdacht, daß das unverschämt gelogen ist. Aber soll man deshalb eine Anwenderschutzvereinigung gründen, um dem Betreiber nachzuweisen, daß seine Software fehlerhaft ist und nicht der einzelne Anwender?


Na, jedenfalls läßt sich mit dieser dreisten Kombination aus Ist uns doch egal und Sieh mal zu jede Fehlersuche kurzfristig zum Ende bringen.

Zwei Dinge sind erwähnenswert.

Das eine ist: der Fehler ist keineswegs unkritisch. Es gibt nämlich Zeiten, vor allem am Wochenende, da lassen sich Dateien partout nicht signieren. Die Fehlermeldung lautet beim Hochladen „Es liegen technische Probleme vor, bitte versuchen Sie erneut zu signieren“ und daran sieht man schon die ganze Idiotie dieses Fehlers und seiner Behandlung in der Software: man kann gar nicht „erneut signieren“, sondern hat nur die Wahl, den Vorgang abzubrechen oder unsigniert hochzuladen. Und zwar tritt dieser Fehler auf, seit das client security module verbessert und viel viel sicherer gemacht worden ist.

Das andere sind die Namen dieser Spitzenkönner, die in der ganzen Software – wahrscheinlich aus gutem Grund – nicht zu finden sind.
Wesroc GbR
ein Konsortium aus der Westernacher Solutions GmbH und der rockenstein AG.
Sie merken schon: wenn’s darauf ankommt, wird es keiner gewesen sein. Zur Vollständigkeit:

Die Westernacher Solutions GmbH ist ein seit den 90er Jahren mit der Justiz fest verbandeltes Unternehmen. Wie gut das funktioniert, kann jeder sehen, der sich mit den Digitalisierungstänzchen der Justiz von Berufs wegen beschäftigen muß. Dieser Anblick vermittelt einem nämlich, wie es sich anfühlen muß, mit einbetonierten Gummistiefeln zu tanzen, und zwar zu dem von Westernacher Solutions GmbH ausgerufenen Slogan „Go digital! For sure!“
Die Rockenstein AG ist ein 1992 von Christoph Rockenstein zum Beginn seines Informatikstudiums gegründeter Service Provider in Würzburg.

Und damit wieder zurück zu den eingangs gestellten Fragen? Nein, vielmehr:

Ein Wunder ist geschehen!

(Logbuch der Pequod vom 01.03.2024:) Einen Monat und ein Update nach den obigen Bemerkungen ist das Phänomen – ich hatte es versehentlich als Fehler bezeichnet – VERSCHWUNDEN. Als hätte es nie existiert. Hat es ja – nach den Angaben der Betreiber – im Grunde auch nicht. Trotzdem habe ich im Moment das ganz und gar unwirkliche Gefühl, als habe sich da etwas verbessert.

Und damit zurück zu den eingangs gestellten Fragen.

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