Willkommenskultur

Eine Mutter, deren Tochter in einiger Entfernung geheiratet hat, dort Kinder bekommen hat, ihren festen Lebensmittelpunkt hat, und im Grunde keine Möglichkeit hat, ihre Mutter länger als nur ein paar Tage zu besuchen, vereinsamt im Alter, wird depressiv und herzkrank. Man könnte von einer gewissen Verelendung sprechen. Sie entschließt sich, mit 74 Jahren ihre Tochter zu besuchen, bleibt einige Wochen bei dieser und lebt auf. Es geht ihr besser, sie ist mit Tochter und Enkeln zusammen. Sie möchte bei ihrer Tochter bleiben. Das möchte ihre Tochter auch.

Es gibt da nur zwei Probleme.

Weil die alte Frau aus der Ukraine kommt, entscheidet darüber weder sie selbst, noch ihre (deutsche) Tochter. Sondern die Ausländerbehörde. Die ist Problem Nr. 1; denn die interessiert nur, ob die alte Frau reisefähig ab und als das das Gesundheitsamt bestätigt – im Gegensatz übrigens zum behandelnden Arzt -, erfolgt die Ausweisung. Der Gesetzgeber hat es so eingerichtet, daß der Widerspruch gegen solche Entscheidungen keine aufschiebende Wirkung haben soll; mag der Bescheid rechtswidrig sein, er darf und soll sofort ausgeführt werden. Falls er rechtswidrig war, kann das die alte Dame ruhig in der Ukraine erfahren, wenn sie dann noch lebt, in etwa 1 ½ Jahren.

Als nächstes befaßt sich das Verwaltungsgericht mit der alten Frau. Und kommt zu dem Ergebnis, daß sie so kurz in Deutschland ist, daß sie hier gar nicht verwurzelt sein kann. Art. 8 EMRK schützt das Familienleben vor dem Eingriff des Staates, aber das ist nach Meinung des Verwaltungsgericht hier nicht besonders berührt. Das ist kein Scherz, sondern wesentlicher Bestandteil der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Magdeburg in der Sache – 4 B 306/15 -.

Daß die alte Frau ihr ganzes Leben in ihrer Familie, die nun in Deutschland lebt, verwurzelt war, zählt nicht, jedenfalls nicht besonders viel. Daß sie in ihrem Herkunftsland niemand mehr hat, was bei dem Lebensalter nicht ungewöhnlich ist, spielt ganz ausdrücklich überhaupt keine Rolle.

An und für sich hat Kultur immer auch mit Familie zu tun. Es gibt die Vorstellung, daß die Familie die Keimzelle der Gesellschaft ist. Innerhalb dieser Gesellschaft wird dafür gekämpft, den Schutz der Familie auszuweiten, auf andere und weitere Verbindungen als nur die traditionelle Mann-Frau-Beziehung. Man scheint sich also der Bedeutung der Familie für das Wohlergehen des Einzelnen bewußt zu sein. Wer nicht vereinsamen will, braucht eine Familie, ob nun im engeren oder weiteren Sinn. Das gehört zum Selbstverständnis eines (und vielleicht jedes) Kulturvolks.

Aber dieser Teil der Kultur gilt bei dieser deutschen Ausländerbehörde (und vielleicht bei jeder) nicht und auch nicht bei diesem Verwaltungsgericht.

Das ist vermutlich die oft zitierte Willkommenskultur.

 

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