Stillstand

Man erlebt als Anwalt im Behördenverkehr mit kommunalen Mitarbeitern so häufig Beispiele haarsträubender Inkompetenz und Ahnungslosigkeit, daß das kein Zufall sein kann. Offenbar findet keinerlei Schulung der Mitarbeiter statt, und zwar weder in Bezug auf die jeweils anzuwendenden Fachgesetze (Beispiel: Meldegesetze beim Einwohnermeldeamt) noch in Bezug auf allgemeines Verwaltungsrecht.

Die Mitarbeiter wissen schlicht nicht, was sie tun (dürfen und sollen), kennen also ihre Amtspflichten nicht und machen, was sie wollen – alles nach bestem Wissen und Gewissen, teilweise aber auch schlicht gesetzeswidrig.

Was diesen ahnungslosen Anlernlingen hilft, ist zweifellos die schon seit Generationen feststehende Bereitschaft, vom Staat erst einmal alles gläubig hinzunehmen, was ihm da angesonnen wird. Diese seit unvordenklicher Zeit schon in der Literatur, aber auch in soziologischem und psychologischem Schrifttum immer wieder als typisch deutsch beschriebene Verhaltensweise hilft enorm, die völlige Inkompetenz durch Dreistigkeit und autoritäres Gehabe zu überdecken und den Bürger glauben zu machen, schlichte Dienstleistungen, für die bezahlt wird, seien hoheitliche Gnadenakte, die nach freiem Ermessen gewährt oder versagt werden könnten.

Das genügt aber nicht. Denn zu einer funktionierenden Organisation gehört regelmäßig irgendein (interner oder externer) Mechanismus, der darauf gerichtet ist, die Organisation leistungsfähiger zu machen. Ob im Einzelfall Marktgeschehen wirkt oder Controlling – was nicht gepflegt wird, verkommt. Ein solcher Mechanismus fehlt in der Verwaltung nahezu durchgängig.

„Stillstand ist Rückschritt“ ist keine Maxime, sondern die Beobachtung eines tatsächlichen Phänomens. In ihrem Bemühen, dieses Phänomen zur Geltung zu bringen, ist – wie der Kontakt zu Berliner Behörden es immer wieder bestätigt – die Bundeshauptstadt führend. BER ist kein Einzelfall, sondern gewissermaßen nur die weithin sichtbare Pyramide über dem tiefen Pharaonengrab langjähriger Schluderei. Aber auch die Landeshauptstadt Magdeburg hat es hier schon weit gebracht.

Beispiel: die Meldeanfrage. Der Vorgang ist an sich einfach. Jeder Bürger soll, wenn er nicht Adresshandel betreiben will, für den besondere Einschränkungen gelten, die Adresse eines einzelnen anderen Bürgers, der z.B. umgezogen ist, gegen Zahlung einer (einheitlichen) Gebühr von acht Euro beim Einwohnermeldeamt abfragen können. Das ist gesetzlich geregelt.

Kann man diesen einfachen Mechanismus zum Stillstand bringen? Man kann. Im Einwohnermeldeamt der Landeshauptstadt Magdeburg werkeln Auszubildende selbständig und unangeleitet vor sich hin und „bearbeiten“ Meldeamtsanfragen so, daß es auch nach dem dritten Versuch nicht zu einer Auskunft, sondern zu einem Briefwechsel, geradezu einem „Vorgang“ kommt, der Kosten aufwirft, die durch die Gebühr von acht Euro nicht gedeckt sein können.

Die Pointe liegt nicht in der Unfähigkeit des einzelnen Mitarbeiters, sondern darin, daß die Verwaltung es sich leistet, derartige systemische Schwachstellen in ausreichender Zahl zu unterhalten, um der Inanspruchnahme der Verwaltung grundsätzlich eine abschreckende Note zu verleihen.

Das bedeutet, daß es nach wie vor keinen wirksamen internen Kontrollmechanismus gibt, der auf die Beseitigung von Hemmnissen und die Steigerung der Effizienz des Verwaltungshandelns gerichtet ist. Das ist schon oft beschrieben worden (Cyril Northcote Parkinson beschrieb das Phänomen 1957 (!) als Parkinsons Law und auch das „Peter-Prinzip“ beruht auf der Widerstandskraft der Verwaltung gegen jeden vernünftigen Verbesserungsvorschlag, wenn er nicht zugleich zu einer Vergrößerung der Behörde führt), aber es ist immer wieder faszinierend, diese Prinzipien bei der Arbeit zu sehen. An diesem Maßstab gemessen, leisten die Verwaltungsspitzen der Landeshauptstadt ganze Arbeit. Komplizierte Vorgänge und schwierige Entscheidungen lange vor sich her zu schieben und schließlich durch irgendeine völlig unverständliche Entscheidung zu verwirren, ist keine Kunst. Aber einfachste Verwaltungsvorgänge durch die Auswahl möglichst ungeeigneter Sachbearbeiter so zu gestalten, daß selbst diese einfachen Vorgänge nur noch unter größtem Aufwand zu betreiben sind: das ist beachtlich.

 

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