Das besondere elektronische Postfach. Teil 4.

Will man Anlagen versenden, was ja an sich der Sinn eines Anwaltspostfachs sein dürfte, muß jede einzelne Anlage mit einer Signatur versehen werden. Bis zu hundert Anlagen darf man versenden. Wenn man auf diese Weise Schriftsätze mit vielen Anlagen versenden muß, dann dauert das etwa doppelt so lange wie das Absenden eines Faxes. Irgendwann soll ja wohl – so verstehe ich die Informationsmitteilungen der Bundesnotarkammer, die ansonsten keine Verantwortung für das beA übernehmen will – eine Stapelfunktion zur Verfügung stehen. Aber nicht jetzt. In jedem Fall muß der Anwalt selbst die Signatur vergeben. Sonst könnte von Sicherheit sowieso keine Rede sein. Diesen Zeitaufwand darf sich der Anwalt schon machen. Auch hier kann man sich für die Praxisnähe dieses Postfachs nur bedanken.

Bis 31.12.2017 muß man jede Anlage mit einer Signatur versehen. Ab 01.01.2018 angeblich nur noch die Schriftsätze, die durch Mitarbeiter versendet werden bzw. die, die materiell-rechtliche Erklärungen in Schriftform ersetzen sollen. Was das genau heißen soll, harrt bislang noch einer näheren Erklärung. Der Anwalt, der die Haftung für unvollständigen Vortrag nicht scheut, wird hier durch Rechtsprechung nach und nach Klarheit schaffen können. Alle anderen signieren immer weiter ALLES und machen sich diese zusätzliche Arbeit, von der ich auch nach längerem Nachdenken nicht erkennen kann, wozu das gut sein soll, wenn doch die Versendung so vollständig sicher ist.

Fortsetzung folgt.

 

Das besondere elektronische Postfach. Teil 3.

Dieser Beitrag (wie die vorangegangenen und die folgenden) beschäftigen sich mit den Eindrücken, die man sammeln wird, wenn man das – ab 2018 verbindlich zu nutzende – besondere elektronische Anwaltspostfach in Betrieb nehmen will.

Teil 1 beschäftigte sich mit Programmstart und dem Sicherheitsgedanken, Teil 2 mit dem Unterschied zwischen Funktion und Funktionalität. Nun weiter.

Beim Senden scheint es unmöglich zu sein, eine Nachricht an mehr als einen Empfänger zu senden. Jedenfalls ist diese Funktion nicht dokumentiert und erschließt sich aus der praktischen Handhabung nicht.

Bei der Suche nach Empfängern stürzte das Programm zuverlässig ab, wenn man beim Vornamen „*gericht“ und beim Nachnamen „hamburg“ eingibt. Übrigens auch, wenn man bei Postleitzahl „20″ eingibt. „2″ geht, bringt aber das Beste am Norden auf sechs Seiten. Meldung an den ServiceDesk – Ergebnis: nach drei Monaten behoben. Keine Rückmeldung – auf Nachfrage beim ServiceDesk die Mitteilung: wir hatten schon verschiedene Meldungen von Inkonsistenzen bei der Adress-Datenbank. Es laufen auch schon Wetten, ob es bei Vollbetrieb zusammenbricht.

Welche Postfächer erreichbar sind und welche nicht, erschließt sich übrigen aus dem Verzeichnis nicht. Eine Kennzeichnung gibt es nicht. Vermerkt scheint jeder Anwalt zu sein, ob er schon teilnimmt oder nicht, aber (!) Gerichte nur teilweise. Die Gerichte in Magdeburg, bis auf das Landgericht, sind im Verzeichnis, die Gerichte in Stendal sind es nicht. Warum das so ist, erschließt sich nicht. Ein Verzeichnis aller erreichbaren Postfächer gibt es übrigens auch außerhalb des beA nicht.

Für die Gerichte findet man immerhin unter

http://www.egvp.de/gerichte/index.php

ein recht zerklüftetes Verzeichnis der elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfächer. Beim Studium dieser Liste fällt zunächst einmal auf, daß das ein rechter Flickenteppich ist. Bei vielen Gerichten sind nur einzelne Abteilungen – nur Registerabteilung oder „alle Verfahren außer Strafsachen“ – erreichbar. Einige Gerichte sollen erst im Laufe des Jahres 2017 erreichbar werden. Bei vielen Gerichten ist nicht zu erkennen, wann sie erreichbar sein sollen. Daß die Anwaltschaft verpflichtet werden sollte, bereits ab 01.01.2017 das beA kostenpflichtig zum Postverkehr mit den Gerichten bereitzuhalten, befremdet noch in der Rückschau. Daß das nun ab 01.01.2018 funktionieren soll, wenn man vor jeder Benutzung erst einmal die EGVP-Liste der Gerichte durchgehen muß, ob ein bestimmtes Gericht erreichbar ist, darf man bezweifeln. Wahrscheinlich wird das in den ersten Jahren genauso gut funktionieren wie Brieftaubenverkehr.

 

Das besondere elektronische Postfach. Teil 2.

Dieser Beitrag (und die folgenden) beschäftigen sich mit den Eindrücken, die man sammeln wird, wenn man das – ab 2018 verbindlich zu nutzende – besondere elektronische Anwaltspostfach in Betrieb nehmen will.

Teil 1 beschäftigte sich mit Programmstart und dem Sicherheitsgedanken. Nun weiter.

Die Bildschirmdarstellung ist unflexibel (Schrifttype „Normal“ ist schon riesig; danach kommt nur noch groß und noch größer – soll vielleicht für iPads taugen) und altbacken. Das Interface scheint den 80er Jahren entsprungen. Und bietet so manche Unbequemlichkeit. Die einzelnen Bestandteile funktionieren auch nicht so recht miteinander. Verändert man die Größe des Browserfernsters, kommt es zu merkwürdigen Abdeckungen einzelner Fensterelemente. Da hat die Java-Programmierung wohl nicht so richtig funktioniert.

Versendet werden natürlich Schriftsätze, die als Anhänge beizufügen sind. Jeder Anhang muß einzelnen signiert werden. Das bedeutet, daß man pro Anhang ungefähr 10 Aktionen (Tastendrücke oder Klicks) ausführen muß, bevor er erfolgreich angehängt ist. Bis zu 100 Anhänge sind erlaubt. Gefühlt sind das selbst bei einfachen Sachen und wenig Anlagen unendlich viele Klicks, bis man eine Nachricht versandfertig hat.

Arbeitseffizienz war offenbar nicht das Ziel.

100 Dateien (Schriftsätze) kann man anhängen. Jeder Anhang erfordert noch eine zusätzliche Signaturdatei. Sichtbar sind aber nur die ersten fünf (!) Dateien. Dann muß man zu Seite 2 blättern. Das läßt sich – wie es in der Steinzeit des Computers stets üblich war – auch nicht anpassen. Mit einem Wort: unübersichtlich.

Wenn man einen Anhang wieder löscht, wird die Signaturdatei nicht automatisch mit gelöscht. Man kann sie aber auch für nichts anderes verwenden. Diesen Datenmüll muß man also von Hand selbst aufräumen.
Dafür enthält jede Nachricht merkwürdige Felder zum Anklicken: „dringend“ und „zu prüfen“. Wer mag sich das gewünscht haben?
Die Funktion Nachrichtenjournal hat eine merkwürdig eingeschränkte Funktionalität. Nur wenn man einen (!) Eintrag in der Nachrichtenliste markiert, ist die Funktion überhaupt aktiviert. Dann gibt es Filter, deren Sinn sich mir nicht so ohne weiteres erschließt. Der ServiceDesk rät, den Filter auf „ALLE“ zu stellen – ihn also auszuschalten. Randbemerkung dazu: die „Unterstützung“ des Postfachs durch die BRAK ist eine gesonderte Betrachtung wert, sie würde hier zu viel Zeit in Anspruch nehmen.

Zurück zum Nachrichtenjournal: Will man ein Journal einer einzelnen Nachricht – also praktisch ein Sende- oder Empfangsprotokoll – erstellen, gibt es nur die Möglichkeit, eine ZIP-Datei zu erzeugen. Eine Druckfunktion gibt es nicht (bestimmt wieder die Sicherheit…). Darüber, was der Export als ZIP-Datei soll, kann man lange nachdenken. Denn das Sende- oder Empfangsprotokoll ist ja denkbar kurz, schon weil es nur eine Sendung enthält. Da gibt es praktisch nichts zu komprimieren. Außerdem braucht man das Sende- oder Empfangsprotokoll entweder zu Archivierungs- oder zu Nachweiszwecken. Wie viele von diesen ZIP-Dateien soll man erzeugen, um ein Archiv aller Nachrichten zu haben? Dafür ist diese Funktion offensichtlich nicht geeignet. Und für die Nachweisfunktion dürfte man ein Dokument mit Signatur brauchen. Das kann diese Funktion aber offenbar auch nicht.

Fortsetzung folgt.

beA – das ganz besondere elektronische Anwaltspostfach

Das besondere elektronische Anwaltspostfach. Gibt es nur für Anwälte, die darüber untereinander (und mit den Gerichten) mit einer end-to-end-Verschlüsselung kommunizieren können. Sollen. Nein müssen. Es besteht Anschlußzwang.

Gewissermaßen ein staatlich verordnetes darknet.

Was für ein Programm! Das wird einem auf Anhieb klar.

Das Starten der Postfachanwendung dauert 35 Sekunden. Dann endlich sieht man den Bildschirm mit (noch nicht vorhandenen) Nachrichten und könnte jetzt eine Nachricht versenden oder eine eingegangene Nachricht bearbeiten. Bis dahin muß man mindestens zwanzig (!) Aktionen (Mausklicks oder Tastendrücke) ausführen, bis das Programm gestartet und sendebereit ist.

Das liegt vor allem an der sogenannten „Sicherheit“, weil schon zweimal die beA-Karte und die PIN abgefragt worden ist. Dabei ist die inhouse-Sicherheit beim Anwalt gar nicht Gegenstand der Sicherheitsarchitektur, weil durch die Verschlüsselung nur die Versendung von Nachrichten gegen Fälschung und unbefugtes Mitlesen gesichert werden soll. Das beA ist kein Tresor. Wer die Karte hat und die PIN kennt, kann damit schalten und walten. Die Karten sind nicht personalisiert. Deshalb ist diese Anmelde- und Abfrageprozedur gleich zu Beginn m.E. sinnlos. Erst wenn die Versendung ansteht, käme es darauf an, daß der Versender die Sendung autorisiert und die Anlagen mit einer Signatur versieht. Was dann auch noch einmal gesondert geschehen muß.

Wie es startet, so geht´s weiter. Langsam. Deshalb erst einmal bis hier.

Fortsetzung folgt.

Maßregelvollzug in Sachsen-Anhalt

Am 03.02.2017 hatte ich ein interessantes Gespräch mit einem Therapeuten vom Maßregelvollzug in Bernburg.

Dort Untergebrachte müssen eine Reihe von Lockerungsstufen (etwa Einzelausführung, Gruppenausführung, Gruppenausgang, Einzelausgang) durchlaufen, die Voraussetzung für die Feststellung einer erfolgreichen Therapie und die Entlassung aus dem Maßregelvollzug und der Haft ist. Bei Verstößen wird ein Untergebrachter zurückgestuft und muß unter Umständen wieder von vorn anfangen (die Ähnlichkeit mit Mensch-Ärger-Dich-Nicht dürfte bei der zur Schau getragenen Humorlosigkeit der Ärzte und Therapeuten unbeabsichtigt sein).

Einem Mandanten war ganz kurz vor dem Erfolg die Lockerung gestrichen worden. Der Vorfall, der dazu geführt hatte, wurde nicht aufgeklärt, sondern „besprochen“. Wie es tatsächlich war, interessierte die Ärzte und Therapeuten nicht besonders. Sie wollten wissen, wie sich mein Mandant dazu – und zum Entzug seiner Lockerungen – verhielt.

Im Gespräch mit dem Therapeuten ergab sich folgendes. Und zwar ganz ernsthaft – ich glaube nicht, daß der Mann Schabernack trieb.

  1. Es war dem Therapeuten gedanklich völlig fremd, daß der Entzug der Lockerung auch eine Disziplinarmaßnahme darstellte. Er hielt das – ausschließlich – für Therapie. Daß er damit zugleich den Betroffenen dressierte, konnte er sich nicht vorstellen.
  2. Daß der Entzug der Lockerung eine freiheitsentziehende Maßnahme darstellte, war ihm ebenfalls vollkommen fremd.
  3. Daß der Betroffene das Bedürfnis haben könnte, zu erfahren, wann er wieder mit der Erteilung der Lockerungsstufe rechnen könne, die er schon mal hatte, die ihm aber wieder entzogen worden war, verstand sein Therapeut nicht.

Nun ist es aber so, daß nahezu alle Betroffenen, mit denen ich gesprochen habe, das System der Lockerungsstufen genau so verstanden: als Disziplinierungssystem, durch das sie zu einem bestimmten von der Anstalt vorgegebenen Verhalten gezwungen werden sollten, und dessen unangenehmste Seite die Ungewißheit war, wann ihnen wohl die nächste Stufe der Freiheit gewährt werden würde. In einzelnen Fällen haben die Betroffenen auch verstanden, daß die Therapie dazu dienen konnte, ihnen bei der Überwindung einer Krankheit – sei es einer Sucht oder einer psychischen Erkrankung – helfen konnte. Aber im Vordergrund steht für die Betroffenen stets die repressive Seite dieses Systems.

Um ein Bild zu gebrauchen: der Arzt, der die Schlüssel zu meiner Zellentür in der Tasche hat, mag ein Arzt sein, von dem ich Hilfe erwarten kann. Aber er ist auf jeden Fall immer Gefängniswärter, der zwischen mir und der Freiheit steht. Daran komme ich buchstäblich nicht vorbei.

Das verstand dieser Therapeut überhaupt nicht.

Damit endete denn auch unser Gespräch. Gewissermaßen: Vorhang zu und alle Fragen offen.

  1. Wie kann eine Therapie gelingen, bei der der Therapeut derart grundlegend darüber irrt, wie er auf seine Patienten wirkt?
  2. Bei der der Patient alsbald merkt, daß der Therapeut, der dem Patienten bei der Selbsterkenntnis helfen soll, zu eben dieser Selbsterkenntnis gar nicht in der Lage ist?
  3. Bei der die Nebenwirkung die erstrebten Ziele offenkundig dominieren?

Wer diese Therapie durchlaufen hat, der ist in einer Vielzahl von Fällen nicht therapiert, sondern dressiert. Der ist häufig nicht geheilt, sondern kann seine Probleme nur besser verbergen. Dies ist kein Plädoyer gegen die Freilassung von Maßregelpatienten. Es scheint aber so, daß über den Erfolg oder Mißerfolg einer Therapie Leute zu urteilen haben, die schon mal sich selbst bei dieser Therapie grundlegend falsch einschätzen. Und die sollen den Probanden richtig einschätzen können?

Bitte nicht stören!

Wie vorsichtig muß man im Umgang mit kommunaler Verwaltung sein, um deren Funktionsfähigkeit nicht völlig lahmzulegen?

Sehr vorsichtig, wie folgendes Beispiel zeigt.

Ebenso zuversichtlich wie arglos habe ich am 08.12.2016 bei der Stadt Rathenow eine Adressenanfrage gestellt. Ich hätte gewarnt sein sollen, daß die Stadt Rathenow schon nicht in der Lage ist, die Kontonummer zu veröffentlichen, an die die Auskunftsgebühr zu überweisen ist. Aber ich habe sie herausbekommen und überwiesen (auch am 08.12.2016).

Nun hätte das geschehen soll, was in solchen Fällen – in allen Kommunen der Bundesrepublik Deutschland gleich – nach dem Bundesmeldegesetz geschehen soll. Nämlich die Überprüfung, ob die Gebühr eingegangen ist, die Nachschau der Adressdaten zu der angefragten Person und die Mitteilung derselben an den Antragsteller oder die Negativauskunft, daß keine Daten vorliegen.

Stattdessen: Schweigen.

Am 09.01.2017 habe ich mich im Wege der Dienstaufsichtsbeschwerde bei der Stadf Rathenow erkundigt, was eigentlich aus der beantragten Meldeauskunft geworden ist.

Es schrieb mir am 12.01.2017 der Erste Beigeordnete Dr. Hans-Jürgen Lemle. Und zwar erfolge seit dem Zeitpunkt des Zahlungseingangs eine „kontinuierliche Bearbeitung“ des Vorganges. Dieser sei „auf Grund der laufenden Ermittlungen“ noch nicht abgeschlossen.

Das ist er übrigens bis heute – sechs Wochen nach meiner Anfrage – nicht.

Ich bin gerührt. Da beschäftigt sich das Einwohnermeldeamt seit sechs Wochen kontinuierlich – auf deutsch: dauernd – mit meinem Antrag, die aktuelle Adresse einer einzelnen Person, deren Name, Geburtsdatum und frühere Anschrift ich bereits mitgeteilt habe, zu „ermitteln“. Wie muß ich mir das vorstellen? Geht ein Nachtwächter der Stadt Rathenow herum und ruft die betreffende Person aus? Oder wird nicht doch das Melderegister der Stadt Rathenow computergestützt geführt, wie überall sonst auch? Und wenn letzteres: was für ein Niederdruck-Dampfcomputer muß das sein, daß sich die angefragten Daten auch nach sechs Wochen noch nicht bis zum Ersten Beigeordneten Dr. Lemke herumgesprochen haben und er mitteilen kann – wie das in solchen Fällen üblicherweise geschieht -, daß die Auskunft nunmehr unverzüglich erteilt wird. Oder habe ich durch meine Dienstaufsichtsbeschwerde den Ersten Beigeordneten aus tiefem Schlaf geweckt und er hat im ersten Schrecken irgendetwas abgesondert, was ihm erst einmal etwas Zeit zum Nachdenken verschaffen sollte? Immerhin schließt sein Schreiben – wohlgemerkt nach Wochen des Wartens – mit den Worten „Ich bitte um etwas Geduld.“

Es tut mir beinahe schon leid. Ich habe offenbar durch meine Meldeanfrage die Verwaltung der Stadt Rathenow – jedenfalls im Einwohnermeldeamt – für Wochen stillgelegt. Wenn diese Stadt einen einfachen Vorgang schon kontinuierlich über Wochen bearbeiten muß – was wird dann aus komplexen kommunalen Entscheidungsprozessen, wie sie ja auch mal vorkommen?

Nachtrag

Ich habe nach einer weiteren Woche Post von Bürgermeister Ronald Seeger bekommen. In 10 Tagen teilt er mir die Auflösung des Rätsels mit.

Sprichwörter: Iudex non calculat

Das Sprichwort Iudex non calculat (deutsch: der Richter rechnet nicht) – so dachte ich – meint nur scherzhaft, daß Juristen nicht rechnen können. Eigentlich – so dachte ich – bedeutet es, daß nicht die Zahl der Argumente von Bedeutung ist, sondern ihre (unterschiedliche) Bedeutung für die Entscheidung. Oder auch, daß nicht die Anzahl der Zeugen den Ausschlag gibt, sondern ihrer Glaubhaftigkeit.

Aber ich kann neuerdings nicht mehr ausschließen, daß das Sprichwort doch meint, daß Juristen nicht rechnen können (oder wollen) und das in einem sehr ernsten Sinn und für den Betroffenen mit schneidender Kälte.

Der Betroffene ist in unserem Fall Iraner und über die Balkanroute nach Deutschland gekommen. Unterwegs in Kroatien wurde er registriert, was automatisch als Asylantrag gilt, und dann gleich weitertransportiert, weil Kroatien wie alle Transitländer mit Flüchtlingen überfüllt war.

In Deutschland hat sich die Bürokratie mittlerweile wieder auf Dublin III besonnen und versucht Flüchtlinge wieder dorthin zurückzuschieben, wo sie mal einen Asylantrag gestellt haben. In diesem Fall also nach Kroatien.

Auch in anderen EU-Staaten hat sich die Bürokratie mittlerweile wieder auf Dublin III besonnen und versucht Flüchtlinge wieder dorthin zurückzuschieben, wo sie mal einen Asylantrag gestellt haben. Also auch nach Kroatien. In mindestens 3.493 Fällen. 1.782 Fälle allein aus Österreich.

Kroatien – so schreibt es die Tageszeitung Standard aus Österreich – ist jetzt wieder genauso überlaufen, wie zu Beginn der Flüchtlingswelle. Denn geplant war, bis Ende 2017 (!) 1.617 Flüchtlinge aufzunehmen. Bei 1.782 Zurückschiebungen in 2016 allein aus Österreich.

Aber das Verwaltungsgericht Magdeburg rechnet nicht.

Oder jedenfalls anders. Denn er rechnet in seinem Beschluß vom 16.11.2016 vor, daß in den Unterbringungseinrichtungen in Kroatien insgesamt 700 Plätze zur Verfügung stünden, von denen im November 2016 120 unbelegt seien. Bei 3.493 in den nächsten sechs Monaten zu erwartenden Zurückschiebungen. „Ein Engpass bei der Unterbringung und Versorgung des Antragstellers nach seiner Rücküberstellung nach Kroatien ist daher nicht zu befürchten.“
(VG Magdeburg – 2 B 379/16 MD -).

Richtig. Vorausgesetzt jeder der 3.493 Zurückgeschobenen und der jetzt schon vorhandenen Flüchtlinge kommt damit aus, daß 13 Personen in einem Doppelzimmer wohnen und jeder nur 3 ½ Stunden Schlaf am Tag braucht.

 

Behördeneffizienz am Beispiel BAMF

Es gibt Widersprüche in sich. Etwa Holzeisenbahn. Oder Behördeneffizienz. Nein! Das war einmal. Es gibt sie, die Behördeneffizienz. Man nennt sie BAMF.

Es waren sich ja alle einig: die Bearbeitung der Asylanträge muß viel effizienter und schneller geschehen als früher. Sonst wird man der Flut von Anträgen auf lange Zeit nicht Herr und das nützt auch den Antragstellern nichts. Vor allem aber hat es der Staat ja so eingerichtet, daß Asylsuchende nicht arbeiten dürfen – früher überhaupt nicht und jetzt erst einmal viele Monate nicht -, so daß ein Heer von Ausländern erst einmal zu Staatsangestellten gemacht werden, denen Monat für Monat beigebracht wird, daß der Satz, daß man für Geld arbeiten müsse, für sie nicht zutrifft (wenn ihnen das Arbeiten dann so gut es geht abgewöhnt worden ist, wirft man ihnen mangelnde Integration vor, weil sie nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten – aber das ist ein anderes Thema).

Es ist bestimmt richtig, daß die Asylverfahren beschleunigt werden müssen. Wenn man die Praxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (man könnte schon beim Wort „für“ ins Stocken kommen – kann es sein, daß „gegen“ treffender gewesen wäre? Der Comicleser wird bei dem Kürzel BAMF sofort verstehen, worum es dem Amt geht), also wenn man die Praxis des BAMF betrachtet, muß das Verfahren zur Steigerung der Effizienz etwa nach folgnden Leitlinien gestaltet worden sein.

1. Stelle eine große Anzahl ahnungsloser, willfähriger Helfer ein, die die früheren Einzelentscheider, die noch wußten, was in dem von ihnen bearbeiteten Herkunftsland politisch – und das heißt auch polizeilich-foltertechnisch – so alles zu erwarten war, zahlenmäßig völlig dominieren. Sie werden schon durch ihre Zahl jeden Einwand der Ewiggestrigen als das Gemecker einzelner Unzufriedener erscheinen lassen.

2. Übertrage diesen Helfern aber nicht etwa die Aufklärung des jeweiligen Einzelschicksals, sondern mache sie weisungsgebunden. Sie werden froh sein, daß man ihnen Leitplanken setzt, die sie auf Kurs halten, und nach Schema F entscheiden. Das beschleunigt den Entscheidungsprozess enorm.

3. Mache den Asylbewerbern Angebote, die sie nicht ablehnen können, etwa so: syrischen Asylbewerbern wird allen Ernstes erklärt, sie könnten entweder nur subsidiären Schutz beantragen – Verfahren geht schnell. Oder Asyl beantragen, um den Flüchtlingsstatus zu erlangen – das dauert. Der Schutzumfang sei der gleiche (steht da schwarz auf weiß). Was denn nun: das schnelle oder das langsame Verfahren? Wofür wird sich der Asylbewerber wohl entscheiden?

4. Verheimliche dem Asylbewerber aber, daß der subsidiäre Schutz zuverlässig verhindert, daß er Familienangehörige nachkommen lassen kann. Seine Frau / ihr Mann / die Kinder / die Eltern sollen schön in Griechenland oder in der Türkei oder egal wo bleiben. Es ist früh genug, wenn der Ausländer das in seinem Bescheid liest. Er wird entgeistert sein.

5. Das hat den schönen Nebeneffekt, daß das eigentliche Prüfverfahren, ob der einzelne nun vom Staat verfolgt wurde oder es nur nicht gut fand, daß allweil Schüsse auf alles, was sich bewegte, abgegeben und Bomben auf Wohnhäuser geworfen wurden, anderswo stattfinden muß. Nämlich bei den Verwaltungsgerichten. Dort ächzen bislang nur die Aktenregale. Wenn die Klagewelle erst einmal richtig rollt, muß man dort wahrscheinlich anbauen. Macht nichts: beim BAMF zählt das Verfahren jedenfalls erst einmal zu den erledigten. Was zählt – daher ja der Name – ist die Zählkarten-Statistik.

Warum nur kommt einem die Verfahrensweise irgendwie bekannt vor? Was machte Frank-Jürgen Weise noch mal früher beruflich? Richtig: die Bundesagentur für Arbeit. Von deren Arbeitsmethode könnten die Sozialgerichte ein Lied singen.

 

Zellengedicht

Wenn jemand im Gefängnis sitzt
und  ein  Mitinsasse  legt  ihm
ein  Handtuch  um  den  Hals,
um  ihn  zu  würgen. Und  der
Jemand  versucht,  diesem
Würgegriff  zu  entkommen,
indem er verzweifelt eine Hand
unter das Handtuch schiebt,

und der Mitinsasse merkt das
und würgt nun mit bloßen Händen
und quetscht dem Jemand
eine Halsseite zusammen,
so daß da Würgemale bleiben,
und zwar so lange, bis der
Jemand keine Luft mehr kriegt
und bis den Würger ein anderer
Insasse schließlich wegzerrt.

Dann gibt´s dafür ein Schmerzensgeld
vom Amtsrichter, und zwar
„eine billige Entschädigung in Geld“,
sprich: was der Richter netto
in zwei Tagen verdient.
Denn es war ja Knast
und nicht so schlimm.

 

Was die Anwaltschaft will…

Das folgende wird die Laien nicht so unmittelbar interessieren. Es geht um das besondere elektronische Anwaltspostfach, auch „beA“ genannt. Beschickt wird das von Gerichten, Behörden und Kollegen. Den Mandanten betrifft es (leider) weniger.

Das Schauspiel, das rings um seine Einführung aufgeführt wird, ist allerdings exemplarisch für viele Dinge, schöne und weniger schöne, und hat sich überdies mittlerweile als Posse [Wikipedia: Bühnenstück, das auf Verwechslungen, ulkigen Zufällen und unwahrscheinlichen Übertreibungen aufgebaut ist und durch derbe Komik Lachen erzeugen soll. Im übertragenden Sinne wird der Begriff auch genutzt für die Beschreibung grotesker öffentlicher Vorgänge.] herausgestellt. Und Lachen ist ja gesund.

Akt 1: der Gesetzgeber findet, daß auch die Anwaltschaft an den Segnungen organisierter elektronischer Vernetzung teilhaben und Schriftwechsel zwischen Behörden, Gerichten und Anwälten elektronisch – im Ergebnis: per email – stattfinden soll. Und zwar (hier kommt schon der erste Brüller): SICHER. Bisher funktioniert die elektronische Kommunikation zwischen Gerichten und Behörden nur fallweise. Aber nun kommt der große Wurf.

Akt 2: die Standesorganisation der Rechtsanwälte stellt nun fest, was Anwälte wollen und brauchen und entwirft ein entsprechendes Konzept – bzw. läßt entwerfen. Sie müssen sich das als Rückblende vorstellen, bei dem beiläufig erkennbar wird, daß das vor vielen Jahren stattgefunden hat. Geheimnisvoll daran ist, wer von der Anwaltschaft eigentlich gefragt worden ist, was er braucht oder will. Das kann aber auch ein Geheimnis bleiben, denn irgendetwas Geheimnisvolles braucht das Theater nun einmal.

Akt 3: (die plötzliche Wendung) die Bundesrechtsanwaltskammer teilt den Kollegen Anwälten mit, welche Wohltat demnächst auf sie zukommt (ich war da: es war ein Schau dreister Ahnungslosigkeit und fürsorglicher Beschwichtigung mit dem Tenor „Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende“). Man wird also demnächst per email erreichbar sein (war man das nicht schon?) und man wird Zustellungen bewirken können! Allerdings werden auch Zustellungen an das Postfach bewirkt und damit Fristen in Gang gesetzt werden können und zwar auch dann, wenn man selbst an das Postfach (noch) gar nicht herankommt. Einfluß darauf, ob das alles funktioniert, hat der Anwalt nicht, aber haften wird er dafür. Außerdem zahlt er das ganze System, ob er will oder nicht.

An dieser Stelle weicht die Handlung des Stückes wegen der Unberechenbarkeit der Darsteller plötzlich vom Skript ab. Andere Kammern (Ärzte-, Architekten-, Handwerkskammern etc.) haben überwiegend gute Erfahrungen mit der Zumutbarkeitsschwelle gemacht. Das Hin und Herr, das Ärzte von ihrer Kammer schon hingenommen haben, spottet jeder Beschreibung. In diesem Fall aber klagen Anwälte gegen die Freischaltung ihres Postfaches und haben damit Erfolg.

Nun kommt der eigentliche Clou. Da sich das beA nicht individuell freischalten läßt – so heißt es, was so manche weitere Frage aufwirft – ist damit der Start des gesamten Systems in Frage gestellt. Jetzt ist erst einmal Pause.

Und während die mit ihrer Klage erfolgreichen Kollegen, wie das in der Pause häufig geschieht, wahrscheinlich sektschlürfend am Tresen des Kammergerichts stehen, nehmen die Verantwortlichen der Anwaltskammer wahrscheinlich Herztropfen zu sich und rufen etwa wehmütig: „Die Anwaltschaft will das besondere elektronische Anwaltspostfach!“ Ja, aber will sie dieses?

Akt 4 folgt sicherlich wahrscheinlich vielleicht. Falls die Klagen gegen das beA letztlich Erfolg haben, wird allerdings vermutlich erst noch das Theater renoviert. Aber dann.